URLAUB VON MORGEN
Traumstrand ohne Fliegen? Die Zukunft des Reisens
Eigentlich ist uns allen klar: Reisen mit dem Flugzeug ist schlecht fürs Klima. Wir haben deswegen eine Alternative ausprobiert: Sieben Wochen Interrail quer durch Europa. Freie Fahrt, bereichernde Begegnungen und pünktliche Züge, die uns an Sehnsuchtsorte unter Palmen gebracht haben.
Reiseerfahrungen von Janna und Niko von damnit e.V. samt CO2-Check der Reise und Perspektiven für klimafreundliche Mobilität.
von Nikolas Baumgartner
URLAUB VON MORGEN
Traumstrand ohne Fliegen? Die Zukunft des Reisens
Eigentlich ist uns allen klar: Reisen mit dem Flugzeug ist schlecht fürs Klima. Wir haben deswegen eine Alternative ausprobiert: Sieben Wochen Interrail quer durch Europa. Freie Fahrt, bereichernde Begegnungen und pünktliche Züge, die uns an Sehnsuchtsorte unter Palmen gebracht haben.
Reiseerfahrungen von Janna und Niko von damnit e.V. samt CO2-Check der Reise und Perspektiven für klimafreundliche Mobilität.
von Nikolas Baumgartner
Nachhaltiges Reisen mit Interrail
Sich intensiv mit Klimaschutz auseinanderzusetzen, wirkt sich natürlich auf sämtliche private Lebensbereiche aus. Auch früher waren wir schon minimalistisch zelten, sind mit dem Fahrrad in den Urlaub gefahren oder haben per Roadtrip Europa erkundet — die ein oder andere Flugreise war aber schon mit dabei. Wir lieben es zu verreisen! Die Schönheit der Natur genießen, sich in der Fremde durchschlagen, die Geschichte eines Ortes aufsaugen, neue kulinarische Entdeckungen machen und interessante Menschen treffen. Wir hatten Fernweh nach den ganzen Lockdowns, aber wollten das Fliegen vermeiden – fürs Klima.
Da kam das Angebot zum 50. Geburtstag des Interrail-Tickets wie gerufen: 50% auf alle Tickets. Sogar mein Vater hatte das schon gemacht. In mittlerweile 33 Ländern unlimited Zug fahren, von Skandinavien bis nach Portugal, von Großbritannien bis in die Türkei. Interrail bietet flexible Tarife, eine eigene App, Zusatzangebote und einen guten Service. Preislich sind die regulären Interrail-Pässe zwar teurer als das Schnäppchen mit dem Billigflieger, aber man hat höchste Flexibilität, kann komfortabel weit entfernte Ziele erreichen und ist auch vor Ort mobil.
Unsere Reise begann in Hamburg und führte uns über Amsterdam nach Paris. Von dort aus nahmen wir den Nachtzug bis ans Mittelmeer, nach Barcelona, Granada und Algeciras. Wir setzten mit der Fähre nach Marokko über und fuhren mit dem Nachtzug bis nach Marrakesch. Dort haben wir uns einen Kleinwagen gemietet und das Atlasgebirge und die Ausläufer der Sahara erkundigt. Mit dem Nachtzug und der Fähre ging es zurück nach Europa, über Cadiz weiter nach Portugal. Leider gibt es zwischen Südspanien und ‑portugal keine direkte Verbindung, weshalb wir auf Busse und Carsharing umsteigen mussten.
Anschließend kehrten wir nach Barcelona zurück und nahmen die Fähre nach Sardinien. Auch hier kann man sich wunderbar mit Zügen und Bussen fortbewegen. Mit der Fähre ging es dann aufs italienische Festland. Frühstück in Pisa, abends Pasta in Cinque Terre. Danach Florenz, Siena, Rom, Saturnia, Neapel, Sorrent und schließlich Syrakus auf Sizilien. Per Nachtzug (der zwischenzeitlich auf eine Fähre umgeladen wurde, um wieder aufs Festland zu kommen) ging es zurück nach Rom. Nördlich von Mailand unterquerten wir die Alpen, denn mit dem Gotthardtunnel, dem längsten Zugtunnel der Welt, kann man ohne Steigung das Gebirge passieren. Von Zürich ging es dann wieder zurück nach Deutschland, nach Stuttgart, Köln und bis zur Endstation Aachen.
In einigen Ländern kommt man mühelos voran, in anderen muss man sich umständlich um Sitzplatzreservierungen bemühen oder ist einer lebhaften Streikkultur ausgesetzt. Einige naheliegende Routen wurden nie gebaut, manche Strecken sind nur wenig befahren oder wurden irgendwann abgeschafft; insbesondere viele Nachtzüge wurden seit der Etablierung von Billigflügen eingestellt. Unsere siebenwöchige Reise war ein Abenteuer durch den Infrastrukturdschungel Europas. Die Interrailapp macht dabei alles richtig, soweit es die Gegebenheiten vor Ort zulassen. In jedem Land weht der Wind auf der Schiene oder am Bahnhof ein wenig anders. Man kommt ins Gespräch und lernt die verschiedenen Nationen unseres europäischen Staatenverbundes und ihre liebenswürdigen Facetten kennen. Mal wird man wie selbstverständlich auf die bequemen Ledersessel in der ersten Klasse verlegt wenn der Zug ausgebucht ist, mal muss man sich ein Extraticket ziehen, um mit einem rasselnden Uraltgefährt mitfahren zu dürfen.
Wir sind den arabischen Wurzeln Europas näher gekommen und haben in den heißen Quellen der Römer gebadet, haben gigantische Vulkane bestaunt und unvergessliche Sonnenuntergänge genossen. Wir sind vor Gebirgszügen mit Flamingos aufgewacht und sind Kamelen in Oasen begegnet, wir haben neue Früchte entdeckt und waldig schmeckenden Likör getrunken, sind faszinierenden Menschen begegnet und haben neue Freundschaften geschlossen. Wir hatten eine aufregende und zugleich erholsame, wunderschöne Reise, deren Erfahrungen uns bereichern und uns unserer europäischen Heimat nähergebracht haben.
CO2-Fußabdruck unserer Reise
Sieben Wochen Zug und Fähre, teilweise auch Bus, Taxi oder Carsharing, wo es nicht anders ging – wir waren auf Achse. Über Frankreich und Spanien ging es bis in den Süden Marokkos, von dort aus zurück nach Portugal und über Sardinien nach Italien, von Ligurien nach Sizilien und wieder zurück nach Deutschland. Interrail machts möglich, aber ist unsere Reise wirklich klimafreundlich gewesen? Schauen wir es uns mal genauer an:
Zurückgelegte Strecken
Kilometer per Zug
Kilometer per Auto
Kilometer per Bus
Kilometer per Fähre
Tatsächlicher Verbrauch
Kilowattstunden
Vergleichbar mit 53 600 Litern Benzin
Liter Benzin
Liter Diesel
Liter Schweröl
Da kam einiges an Strecke zusammen; insgesamt sind wir 13.828 Kilometer in Fahrzeugen unterwegs gewesen. Die meiste Zeit davon in Fernverkehrszügen, die je nach Strecke, Land und Modell einen unterschiedlichen Energiemix verwenden. Deutschlands Fernverkehr beispielsweise ist bereits weitestgehend elektrifiziert. Manche Regionalzüge, die wir während der Reise benutzt haben, fahren jedoch noch mit Diesel. Für die Vergleichbarkeit verwenden wir deshalb Benzinäquivalente, die sich auf den deutschen Strommix beziehen (mehr dazu bei “Reisen mit dem Zug”). Wir haben errechnet, dass wir 84% unserer Zugfahrten im Fernverkehr verbracht haben. Bei einer durchschnittlichen Auslastung von ca. 400 Passagieren sind das 1,5 Liter Benzinäquivalente pro Fahrgast je 100 Kilometern. Für den Nahverkehr nehmen wir einen üblichen Verbrauch von 2,6 l pro 100 Personenkilometern (pkm) an, was insgesamt zu einen durchschnittlichen Verbrauch von 1,7 Litern Benzinäquivalenten pro 100 Kilometer für jede*n von uns beiden ausmacht.
Circa drei Viertel der Strecke in Marokko sind wir mit einem Leihauto gefahren, da das dortige Bahnnetz erst allmählich ausgebaut wird. Zu zweit kamen wir jedoch mit einem Verbrauch von 4,2 Litern Benzin pro 100 Kilometer aus. In Südspanien waren wir dann zu dritt oder sogar zu fünft als Carpool unterwegs. Bei den Strecken mit Carsharing oder dem Taxi nehmen wir einen Durchschnittsverbrauch von 7,7 l/100 km an, was insgesamt zu einem Personenverbrauch von 2,3 l/100 km führt. Da wir mit verschiedenen Bussen gefahren sind, müssen wir auch hier einen Durchschnittsverbrauch von 52 l/100 km annehmen. Was auf den ersten Blick viel aussieht muss allerdings durch die Anzahl der Passagiere geteilt werden. In einem Bus werden durchschnittlich 16 Leute befördert, was zu einem Durchschnittsverbrauch von 3,3 Litern Diesel pro Person und 100 Kilometern führt.
Die Recherche für den Treibstoffverbrauch von Kreuzfahrtfähren, wie wir sie genutzt haben, war knifflig und leider nicht erfolgreich. Zum Vergleich: Das größte Containerschiff der Welt verbraucht rund 14.380 Liter Brennstoff pro Stunde. Mit einer angenommenen Geschwindigkeit von 40 km/h auf unseren Fährstrecken hätte das riesige Containerschiff 500 Tonnen Schweröl gebraucht. Auf einen 14-Tonnen-Container runtergerechnet verbleibt jedoch nur ein Verbrauch von 2,7 l Schweröl/100 km. Unser Schiff hatte eine Kapazität von über 3.000 Passagieren und über 200 Fahrzeugen, war aber höchstens zu einem Drittel belegt – befremdlich diese gespenstischen Ozeanriesen. Ohne Fahrzeug und Suite rechnen wir für uns und unsere Backpacks trotzdem mit dem Wert für einen ganzen Container, obwohl das vermutlich wahnsinnig überzogen ist.
Durchschnittsverbrauch pro Person und 100 Kilometer
Liter Benzinäquivalente
Liter Benzin
Liter Diesel
Liter Schweröl
Personenbezogener Verbrauch auf den zurückgelegten Strecken
Liter Benzinäquivalente
Liter Benzin
Liter Diesel
Liter Schweröl
Nun zur CO2-Bilanz: Bei Benzin, sowie den Benzinäquivalenten, die sich auf den deutschen Strommix beziehen (mehr dazu unter “Reisen mit dem Zug”) sind es 2,78 kg CO2-Äquivalente (CO2e) pro verbrauchtem Liter. Bei Diesel sowie Schweröl ist es nochmal etwas mehr: 3,17 kg/l.
Personenbezogene Emissionen
Kilogramm CO2e durch Züge
Kilogramm CO2e durch Pkw
Kilogramm CO2e durch Busse
Kilogramm CO2e durch Fähren
Personenbezogene Gesamtemissionen
Kilogramm CO2e
Insgesamt haben wir pro Person 761 Kilogramm CO2-Äquivalente für unsere möglichst klimafreundliche, aber dennoch 13.828 Kilometer lange Reise ausgestoßen. Klingt nach ganz schön viel! Die Menge ist vergleichbar mit einer Flugzeugreise von ca. 3.600 Kilometern. Also beispielsweise von Hamburg nach Madrid und zurück. Mit dem Flugzeug könnte man diese Strecke in wenigen Stunden zurücklegen; mögliche Ausflüge wären aber nur zu Fuß oder mit dem Fahrrad möglich — jede weitere Mobilitätsform wäre mit zusätzlichen Emissionen verbunden. Die ganzen 13.828 km mit dem Flugzeug zurückzulegen hätte uns bis nach Perth in Australien gebracht — allerdings nur One-Way und mit einem viermal höheren CO2-Ausstoß.
Vergleich Flugzeug
Kilometer per Flugzeug
Liter Benzinäquivalente
Durchschnittsverbrauch pro 100 Personenkilometer
Liter Benzinäquivalente
Personenbezogener Verbrauch für die Gesamtstrecke
Kilogramm CO2e
Möglicherweise haben wir an einigen Stellen etwas zu hohe Werte angenommen, aber eine Tatsache wird deutlich: Keine der von uns gewählten Fortbewegungsmittel war wirklich“klimafreundlich”. Es gibt noch viel zu tun, um unsere Gesellschaft und Mobilität auf klimaneutral umzustellen. Ist das überhaupt möglich? Und welche Reiseform ist bis dahin verantwortbar?
Reisen mit dem Zug
Die nachhaltigste Fortbewegungsform, die wir genutzt haben, war definitiv der Schienenverkehr. Unschlagbare 0,7 Liter Benzinäquivalente auf 100 Personenkilometer verbraucht der deutsche Fernverkehr. Allerdings gilt dies nur unter der Annahme, dass der Strommix für die Fernverkehrszüge zu 100 % aus erneuerbaren Energien besteht. Auf dem Papier ist dies tatsächlich der Fall, denn 65 % des DB-Stroms stammen aus Erneuerbaren wie Wasser, Wind und Sonnenenergie – Tendenz steigend. Rein technisch fließt im Fernverkehr jedoch der gleiche Strom wie im Nahverkehr — das heißt zu 35 % auch aus Strom von fossilen Energiequellen, wie Kohle und Gas (Stand 2022).
Der DB-Strommix ist durch den Ankauf von Ökostrom klimafreundlicher als der Bundesstrommix, der 2022 immer noch zu 43 % aus fossilen Energieträgern besteht. Das Umweltbundesamt schätzt, dass aktuell bei der Produktion von einer Kilowattstunde Strom 0,498 kg CO2-Äquivalente entstehen. Zwar sanken die Treibhausgasemissionen in den letzten drei Jahrzehnten aus dem deutschen Strommix, seit 2020 wird jedoch wieder mehr Kohle und Gas verstromt und es kommt zu mehr klimabelastenden Emissionen.
Der europäische Strommix speist im Verhältnis bereits einen größeren Anteil erneuerbarer Energien ein und verursacht dementsprechend etwas weniger CO2-Emissionen. Eine weitere Senkung des Anteils von Kohle, Öl und Gas in der Stromerzeugung und eine verstärkte Einspeisung von Wind- und Solarenergie würden sich positiv auf die CO2-Bilanz europäischer Zugreisen auswirken. Da es keine Übersichtlichkeit bei den Emissionen der verschiedenen europäischen Zugbetreiber gibt, haben wir für den CO2-Check unserer Reise den deutschen Strommix angenommen und mit 1,5 Liter Benzinäquivalente auf 100 Personenkilometer im Fernverkehr gerechnet.
Man könnte davon ausgehen, dass der rasche Ausbau erneuerbarer Energien im Interesse der Bahnunternehmen liege. Die Realität ist jedoch ernüchternd, da beispielsweise die Deutsche Bahn den Anschluss von Windkraftanlagen blockierte:
Herausforderungen beim Ausbau der #Windenergie, Teil 345:
— Mirko Moser-Abt (@abtenstein) April 13, 2023
Bremser des Tages: die @DB_Bahn
Warum? Weil die DB an Windrädern Geld verdienen will, und für die Verlegung von Netzanschlüssen seit Kurzem Hunderttausende € (!) verlangt.
Das ist moderne Wegelagerei.
Thread 🧵 pic.twitter.com/zyCxgJNlyp
Durch den öffentlichen Druck lenkte der Staatskonzern jedoch mittlerweile ein und verzichtet zukünftig auf die zusätzlichen Einnahmen durch die Energiewende.
hatten eine nennenswerte Verspätung?
Tatsächlich nur vier Züge – die Hälfte davon in Deutschland. Woran liegt das? In Spanien sind wir mit 300 Sachen in ein paar Stunden durch das ganze Land gebrettert und immer auf die Minute pünktlich angekommen. Wieso bekommen wir das in Deutschland nicht hin? Im Juni 2022 kamen mehr als zwei von fünf Zügen zu spät. “Mangelnde Kapazität und überalterte Anlagen in der Infrastruktur”, sagte Bahnchef Richard Lutz dem ZDF (2022). Zwar hat Deutschland das längste Streckennetz Europas, teilt sich dieses jedoch auf vielen Routen mit dem Güterverkehr. Seit Jahrzehnten ein bekanntes Problem.
Hinzu kommen Störungen durch mangelhafte Beschaffung und Instandhaltung der Zugflotte, Signalstörungen aufgrund des veralteten Zustands des Netzes, eine wachsende Anzahl an Baustellen sowie Beeinträchtigungen durch herabfallende Äste oder Personen auf den Gleisen, was die Bahn als “äußere Einflüsse” bezeichnet. Steckste halt nicht drin. Doch! Denn viele Investitionen in die Verkehrswende wurden verschlafen oder bewusst aufgeschoben, damit der Staat finanziell einspringen muss. Eine Folge der Bahnprivatisierung, wie die Anstalt satirisch veranschaulichte.
In Deutschland erleben wir die Auswirkungen einer jahrzehntelangen systematischen Unterfinanzierung des Schienenverkehrs. Das Schienennetz schrumpft sogar, wohingegen das Straßennetz stetig ausgebaut wird. Deutschland ist und bleibt ein Autoland. Das ist das Leitbild der deutschen Verkehrspolitik, die lange Zeit in den Händen der CSU lag und nun von Volker Wissing (FDP) katastrophal weitergeführt wird. Dies betrifft nicht nur das immer knapper werdende Zeitfenster und die fehlenden Maßnahmen zur Erreichung der Klimaziele von Paris, sondern auch die Sicherung des Wohlstands durch deutsche Ingenieurskunst. Denn um die deutsche Automobilindustrie steht es ebenfalls nicht gut.
Reisen mit dem Auto
Ein Viertel der Treibhausgasemissionen in der EU entstehen im Verkehrssektor (Stand 2017). Davon entfallen lediglich 0,4 % auf den Schienenverkehr, 13 % auf die Luftfahrt, 14 % auf die Schifffahrt und erschreckende 72 % auf den Straßenverkehr. Die Transformierung des Individualverkehrs spielt somit eine entscheidende Rolle auf dem Weg zu einer klimaneutralen Gesellschaft.
Auch die International Energy Agency (IEA) sieht, dass wir das Zeitalter des Elektrofahrzeugs betreten. Wir erleben einen historischen Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte. Denn wir können jetzt Energie produzieren, speichern und nutzen, ohne etwas zu verbrennen. Das ist revolutionär!
Vor rund einer Million Jahren lernte die Menschheit den Umgang mit Feuer. Jetzt sind wir dank der Wissenschaft clever genug, ohne Verbrennen von Zeug zu kochen, zu fahren, unsere Behausungen zu heizen und vieles mehr. Wir erleben eine Zeitenwende der Menschheitsgeschichte!
— Prof. Stefan Rahmstorf 🌏 🦣 (@rahmstorf) October 16, 2021
Allerdings scheint das bei einigen Verbrenner-Nostalgiker*innen noch nicht richtig angekommen zu sein. Es kursiert gefährliches Halbwissen, das das bürgerliche Bauchgefühl nährt. Ein Beispiel hierfür sind die Scheindiskussionen über E‑Fuels, die von einer verzweifelten FDP angetrieben werden. E‑Autos sind jedoch energieeffizienter und umweltfreundlicher als Verbrennermotoren — ganz gleich, ob diese mit fossilen oder synthetischen Kraftstoffen betrieben werden - wie dieser Infoartikel / Podcast von Quarks zeigt. Bereits nach 11.000 bis 30.000 Kilometern rentieren sich E‑Autos in Bezug auf ihre CO2-Bilanz, trotz der energieintensiven Batterieproduktion. Wenn wir über ein reales Problem diskutieren möchten, sollten wir uns mit Ressourcenabbau und Rohstoffpolitik befassen, die bei fossilen Technologien jedoch auch nie besser waren.
Auch die deutsche Automobilindustrie hat sich schon längst für das E‑Auto und gegen den Verbrenner entschieden. VW, Mercedes, Audi und Co. erwarten Planungssicherheit von der Politik, damit die europäische Verkehrs- und Ladeinfrastruktur bereit für ihre E‑Autos ist. Andere wichtige Märkte sind schon weiter: In China, dem größten Automarkt der Welt, treten nun verschärfte Emissionsnormen in Kraft, sodass sich immer mehr chinesische Verbraucher*innen für ein Elektroauto entscheiden. Die beliebtesten Neuwagen dort sind mittlerweile von chinesischen Autobauern, die bereits ein viel breiteres Angebot an E‑Autos anbieten. Deutsche Autohersteller hinken hinterher und könnten in eine existenzbedrohende Krise fallen. Offenbar sind sie so schlecht auf die Mobilitätswende vorbereitet, dass selbst die 2025 anstehende Verschärfung der europäischen Abgasnorm zu schnell kommt.
Die Mobilitätswende hat bereits begonnen. In deutschen Städten ist die Nutzung von Privatautos seit über einem Jahrzehnt rückläufig. Immer mehr Wege werden mit dem Fahrrad, zu Fuß, mit dem ÖPNV oder per Carsharing zurückgelegt. Aber auch in ländlichen Regionen und bei Urlaubsfahrten wird sich vieles zugunsten der Effizienz verändern. Die Elektrifizierung des Verkehrs ist nur der erste Schritt, auf den Digitalisierung und Automatisierung folgen werden. Die Agora-Verkehrswende beschreibt diesen Wandel, der nicht nur unsere Technologien, sondern auch unsere Gesellschaft verändern wird.
Reisen mit dem Flugzeug
2,5 % der menschengemachten CO2-Emissionen werden momentan in der Luftfahrt ausgestoßen. Hinzu kommen noch andere Treibhausgase sowie Rußpartikel, die direkt in die Atmosphäre hineingetragen werden und sogenannte Kondensstreifen-Zirren bilden – menschenverursachte Hochwolken, die das Klima ähnlich stark beeinflussen wie der emittierte Kohlenstoffdioxid von Flugzeugen. Daher ist der Luftverkehr nach dem Helmholtz-Institut für knapp 5 % der Klimaveränderungen verantwortlich.
Da die Anzahl der Flugreisen kontinuierlich zunimmt, werden diese Effekte trotz einer verbesserten Kraftstoffeffizienz und der Reduzierung von Rußemissionen voraussichtlich weiter ansteigen. Keine gute Perspektive für klimafreundliche Mobilität durch die Lüfte. Um schwere Flugzeuge mit Passagieren und Fracht in die Luft zu bringen, sind einfach enorme Mengen an Energie erforderlich, gerade im Vergleich zu anderen Verkehrsmitteln und Transportarten:
Die Mobilitätswende kann nur gemeinsam mit der Energiewende gelingen. Um schwere Flugzeuge samt Passagieren und Fracht in die Luft zu bringen, sind enorme Mengen an Energie erforderlich, insbesondere im Vergleich zu anderen Verkehrs– und Transportarten. Und Energie, sei es in Form von Öl, Wasserstoff oder Strom, wird immer ein knappes Gut bleiben– eine Ressource mit vielen Interessent*innen. Sie gilt es effizient einzusetzen, damit nichts verschwendet wird und sie für alle reicht. Bisher haben wir uns dabei auf fossile kohlenstoffdioxidreiche Energieträger verlassen, die nach Bedarf eingesetzt wurden. Die gilt es aber für das 1,5°-Ziel zu vermeiden.
Mit der Umstellung auf erneuerbare Energiequellen wird es Zeiten mit geringerer Energieerzeugung geben, ebenso wie Überschüsse an windigen und sonnigen Tagen. Diese gilt es in geeigneten Formen zu speichern, beispielsweise in Batterien oder flüssigem beziehungsweise gasförmigem Treibstoff. Dabei geht zwar auch immer Energie verloren, aber man kann sie in ihrer neuen Form je nach Bedarf auch portabel einsetzen.
Um klimaneutrales Fliegen zu ermöglichen, muss Fliegen effizienter und neue Antriebsarten entwickelt werden. Für Kurzstreckenflüge könnten Elektroflugzeuge mit Hochleistungsbatterien die Lösung sein. Erst kürzlich präsentierte ein chinesischer Hersteller eine “Superbatterie”, die dies ermöglichen soll. Für längere Entfernungen sind Batteriesysteme voraussichtlich zu schwer, weshalb auch an Wasserstoff- oder E‑Fuel betriebenen Flugzeugen geforscht wird. E‑Fuels wären zwar aufgrund ihrer Leistungsdichte für weite Strecken geeignet, sind aber bisher nur in geringen Mengen vorhanden und benötigen in ihrer Herstellung viel Energie, die natürlich auch aus klimaneutralen Quellen kommen muss.
2016 gab es weltweit rund 4 Milliarden Flugzeugpassagiere. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt rechnet für die Zukunft mit einer enormen Steigerung: In immer größeren Flughäfen und mit immer größeren Flugzeugen werden im Jahr 2040 möglicherweise über 9,4 Milliarden Passagiere fliegen. Ein solches Wachstum würde mit der derzeitigen Technologie zu erheblichen Umweltschäden führen, immense Kosten verursachen und das Risiko, irreversible Klimakipppunkte zu erreichen, erhöhen. Um das zu verhindern, müssen Millionen von Menschen ihre Mobilität anpassen. Hierzu sind politische Lösungen notwendig, um den Flugverkehr auf attraktive, bezahlbare und zuverlässige Alternativen umzulenken. Bisher sind kaum Fortschritte erkennbar, obwohl sich der European Green Deal vorgenommen hat, als kompletter “Kontinent” bis 2050 klimaneutral zu werden, inklusive Flugverkehr.
Mobilität von heute nach morgen
Die Luftfahrt wird sich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verändern. Flugzeuge von morgen könnten möglicherweise eine ganz andere Flugzeugform besitzen, ohne Rumpf und ohne Fenster und Passagiere schauen durch eine VR-Brille nach draußen. Mobilität als solche wird vermutlich anders gelebt werden – eine Kombination von autonomen Fahrzeugen auf der Straße, zuverlässigen Hochgeschwindigkeitsnetzen auf der Schiene und deren Anbindung an die Luftfahrt. Aber bis klimaneutrales Fliegen möglich ist, dürfen wir die Belastung für den Planeten und die wahren Kosten für Umwelt und Gesellschaft nicht ignorieren. “Verzicht” kann auch ein Zugewinn sein und es kann uns mit Stolz erfüllen, dem eigenen Klimaverantwortungsbewusstsein gerecht zu werden.
Manche Umstellung benötigt allerdings mehr als nur die Bereitschaft, mitzumachen. Viele haben einfach nicht genug finanzielle Mittel und entscheiden sich deshalb gegen die klimafreundlichere Variante. Wer sich nur wenige Tage Urlaub leisten kann, wird sich vermutlich nicht für die nach wie vor meist teurere und länger dauernde Zugreise entscheiden. Das bedeutet, dass die politischen Weichen für eine klimaneutrale Gesellschaft falsch gestellt sind. Das sieht man mitunter daran, dass es in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern eine Steuerbefreiung für Kerosin und internationale Flüge gibt. Dadurch wird der Flugverkehr in Deutschland mit 10 Milliarden Euro jährlich subventioniert. Hier regelt nicht der Markt, sondern politische Entscheidungen verzerren das Angebot und schaden Umwelt und Klima.
Wir alle werden unsere Mobilität klimafreundlicher gestalten müssen, aber diese Transformation sollte durch gesetzliche Anreize gefördert und sozialverträglich gestaltet werden. Zielführend und fair wäre es, wenn die klimafreundlichste Fortbewegungsform auch die günstigste Variante ist und sehr klimaschädliche Mobilitätsformen wie Kurzstreckenflüge abgeschafft würden. Deshalb ist es wichtig, konkrete Klimaschutzmaßnahmen im Mobilitätssektor einzufordern und Druck auf Entscheidungsträger*innen auszuüben, denn diese werden auch von fossilen Lobbyorganisationen beeinflusst.
Und wichtig: Es ist ok, Maßnahmen für mehr Klimaschutz in der Gesellschaft einzufordern, ohne selbst alles perfekt zu machen. Angesichts der Dringlichkeit zum Handeln sollten wir jedoch neben den notwendigen großen politischen Veränderungen auch selbst unsere individuellen Möglichkeiten wahrnehmen. Einfach mal machen – Gewohnheiten überdenken, das neue Normal im Kleinen einführen oder sogar Vorreiter in der eigenen Bubble werden?
Maximales durchschnittliches Pro-Kopf-Budget pro Erdbewohner*in bis 2050
Kilogramm CO2e
Wenn wir das 1,5°-Ziel einhalten möchten, darf jede*r Erdbewohner*in bis 2050 jährlich maximal 1,5 Tonnen CO2-Äquivalente ausstoßen (wachsende Weltbevölkerung mit eingerechnet). Die Hälfte der Menschheit, die ärmeren 4 Milliarden, unterschreitet diesen Wert auch knapp. Der globale Durchschnitt liegt jedoch bei 6 Tonnen, in Deutschland sogar bei 11 Tonnen CO2-Äquivalente pro Person. Das reichste 1 % der Menschen liegt bei durchschnittlich 101 Tonnen CO2-Äquivalenten pro Jahr. Ein großes Ungleichgewicht, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährdet. Denn ärmere Menschen sind meist nicht nur weniger verantwortlich für den Klimawandel, sondern können sich auch schlechter vor Umweltkatastrophen schützen.
Bei unserer fast zweimonatigen Reise haben wir allein durch die Transportmittel jeweils 761 Kilogramm CO2-Äquivalente erzeugt und damit etwa die Hälfte des uns zustehenden Treibhausgasbudgets für dieses Jahr verbraucht. Das Ergebnis eines CO2-Fußabdruck-Rechners zeigt außerdem, dass wir auch über das restliche Jahr den weltweiten Durchschnittswert von 6 Tonnen überschreiten, obwohl wir unseres Erachtens viel Wert auf Nachhaltigkeit legen. Erschreckend!
Das Richtige tun
Irgendwo in Italien. Ein malerisches Städtchen am Meer. Umgeben von idyllischer Natur. Ruhe. Flanieren. Entdecken. Im Sonnenuntergang fährt ein Fischer mit seinem kleinen Boot in den Hafen ein. Das Restaurant mit Panoramablick ist über verwinkelte steinerne Treppen zu erreichen. Der Wein schmeckt vollmundig. Jeder Bissen der typischen Pasta der Region ist ein Genuss. Die Zeit verfliegt in guter Gesellschaft. Noch ein Getränk oder nehmen wir den nächsten Zug? In ein paar Metern zum Bahnsteig. In ein paar Minuten im nächsten Ort. Erfüllt fallen wir in unser Bett und lauschen den Geräuschen der Nacht. Bis Realität und Traum verschwimmen.
Ohne den Protest der Einheimischen und ohne den Schutzstatus als Weltkulturerbe hätte die ligurische Region Cinque Terre heute vermutlich eine Küstenstraße und die Landschaft wäre von Hotelkomplexen gezeichnet. So wie viele Orte der Welt. Aber die Ligurer haben sich für die Bahn entschieden, den Einschränkungen zum Trotz und gegen den Individualverkehr mit all seinen Folgen. Das Leben ohne Auto funktioniert und sorgt für Lebensqualität und Anziehungskraft für viele Interessierte, die sich nach Orten wie diesen sehnen.
Wie gestaltest du deine Reisen möglichst klimafreundlich? Oder bleibst deshalb sogar zu Hause? Wie hat dir dieser Text gefallen? Brauchst du Tipps für deine Reiseplanung oder hast welche für uns? Schreib uns gerne unter: hello@damnit-ev.de
Du planst gerade deine eigene Reise? Dann wirf mal einen Blick auf den CO2-Rechner von Quarks oder mach den UmweltMobilCheck der Deutschen Bahn.
Quellen
Niedriger Energieverbrauch? Die Schiene kann’s – Allianz pro Schiene
Daten und Fakten zum Energieverbrauch des Schienenverkehrs – Forschungs-Informations-System
Umweltfreundlich mobil! – Umweltbundesamt
CO2-Rechner für Auto, Flugzeug und Co – Quarks
Ökologische Bewertung von Verkehrsarten – Umweltbundesamt
Welches Verkehrsmittel spart Energie? – Vattenfall
Emma-Mærsk-Klasse – Wikipedia
CO₂-Emissionen pro Kilowattstunde Strom stiegen in 2022 — Umweltbundesamt
Germany: Energy Country Profile – OurWorldInData
Energy-Charts – Fraunhofer Institut
Rail and waterborne — best for low-carbon motorised transport – European Environment Agency
Train or Plane? – European Environment Agency
Verkehrswende mit Verspätung – ZDF heute
Entwicklung der Gesamtlänge des Autobahnnetzes – Statista
Wie grün ist die Bahn wirklich? – Tagesschau
25 Jahre Bahnreform: eine Erfolgsgeschichte — Die Anstalt/ZDF Satire/Youtube
Der Verbrenner stribt, ob die FDP will oder nicht – Spiegel
Marktübersicht: Diese Elektroautos gibt es aktuell zu kaufen – ADAC
Strengere EU-Abgasregeln drohen zu scheitern –Handelsblatt
Fact Sheet: Metalle für die Energiewende – Power Shift
12 Thesen – Agora Verkehrswende
Zukunft des Fliegens – Helmholtz
Luftfahrt — den Luftverkehr von morgen gestalten – Helmholtz
Der globale Luftverkehr trägt 3,5 Prozent zur Klimaerwärmung bei – DLR
Neue Akku-Technologie: China bringt Super-Zelle – Auto Motor Sport
Weltweiter Luftverkehr steigt in den nächsten 20 Jahren um rund 3,7 Prozent jährlich – DLR
Diese Subventionen schaden dem Klima – Zeit
Eine CO2-Obergrenze pro Kopf? So könnte das gehen – Perspective Daily